Nationaltheater Mannheim/Internationale Schillertage


Tram 83

2019
nach dem Roman von Fiston Mwanza Mujila
Regie
 Carina Riedl
Bühne und Kostüme Thea Hoffmann-Axthelm
Fotos Christian Kleiner

Premiere am 21.6. am Nationaltheater Mannheim/Internationale Schillertage 2019

“In der Disco Zwei empfangen einen fünf (Drag-)Queens mit und ohne Bart, Mitglieder des Mannheimer Ensembles. Sie erzählen von Sex und Gier – “in der afrikanischen Literatur muss gefickt werden, sonst wird wieder nur ein Essay daraus” -, von zwei Freunden, einer ein idealistischer Schriftsteller, der andere der König vom Tram 83, der Bar, dem Puff, dem Drogenumschlagplatz. Mujila, geboren 1981 in Lubumbashi in der Demokratischen Republik Kongo, entwirft eine hitzige Zukunftsvision eines Afrikas, in dem längst alles Leben nach den Gesetzen des Kapitalismus funktioniert, die Menschen ihre Bedürfnisse abbauen wie die Erze im Boden, ein dubioser General über alles wacht und Touristen sich an der Verkommenheit aufgeilen. Die Sprache ist wie Jazz in einer heißen Nacht, jeder Satz eine Pose, und die Regisseurin Carina Riedl hämmert das Ding mit Macht in den Club, lässt Brahima Diabaté auf dem Balafon, einer Art Marimba, klöppeln, Ray Okpara elektronische Musik auflegen und erhebt den Text zur illusionslosen Metapher, in der die Gespenster des Kolonialismus genauso spazieren gehen wie die Hyänen der heutigen Ausbeutung. Das hat eine enorme Wucht.” Egbert Toll in “Die Angst der Barbaren” in der Süddeutschen Zeitung

“Mit „Tram 83“ inszeniert das Mannheimer Nationaltheater den Roman des Kongolesen Fiston Mwanza Mujila, der es auf die Longlist des Booker-Preises schaffte. Nicht alle Literaturkritiker waren sich einig, wie saftig und wie abgründig Afrika dargestellt werden dürfe. Regisseurin Carina Riedl findet eine Lösung.
Auch in Mannheim wird geflirtet und gefreit, und dafür müssen die Zuschauer in die graffitibekritzelte Schwärze der Disco Zwei hinabsteigen. Die Regisseurin Carina Riedl umschifft Fallstrick Nummer eins: Die zwei Frauen fordern mehr als dass sie verführen. Ihre Sprüche sind mehr Musik in den Ohren als fleischliches Angebot. Und auch die Männer werden – gleichberechtigt – als Transvestiten in Stöckelschuhen und Leopardenbody auf den Strich geschickt, der mit Techno- und Balafon-Klängen ein bisschen nach Lubumbashi klingt.
Mit viel Ordnungssinn hat die Regisseurin die Erzählstränge entwirrt und das lautstarke Durcheinander in einem zweistündigen Sprachrausch orchestriert. Mujilas Sätze kommen darin wunderbar zur Geltung, die Zuspitzung ist gelungen und hätte sogar noch stärker ausfallen können. Eine reizvolle Balance aus Nähe und Distanz zum Publikum entsteht durch das Filmen mit der Handkamera. Geschickt wird die Disco in die Zeiten des kolonialen Raubbaus zurückversetzt, wenn die Schauspieler wie Zombies mit Tropenhelm und in barocken Kleidungsfetzen durch den Staub staksen. Mit der Kritik am Kolonialismus als Ursache des Elends positioniert sich die Inszenierung deutlich und nimmt damit die nächste Hürde.”
Antje Landmann in “Hereinspaziert ins Bordell” in der Rheinpfalz

“Und so hat Regisseurin Carina Riedl ihre Bühnenfassung auch in angemessen abgefucktem Ambiente angesiedelt. Zwischen schwarzen Betonwänden, herabhängenden Kabeln und Unmengen von Discokugeln streifen queere, heftig geschminkte Gestalten umher. In (zumindest anfangs) ausladenden Glitzer-Outfits, wie man sie auf einer alternativen CSD-Party erwarten würde – aber nicht in der Kaschemme einer afrikanischen Minenstadt, in der Arbeiter, Studenten, Gesocks und Blutsauger aufeinandertreffen.
Trotzdem ein guter Kniff von Regisseurin Carina Riedl. Sie findet damit ein umso klareres Bild für die Moral der Geschichte um die “Tram 83”. Wer es sich leisten kann, kann sich auch alles erlauben. Denn “Tram 83″ ist keine exotische Parabel über einen leidenden Kontinent (der Text verortet seinen Schauplatz auch nicht). Er erzählt vielmehr vom entfesselnden Kapitalismus und wie er Menschen zu Egoshootern macht.”
Steffen Becker in “Macht und Amoral” für nachtkritik.de